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Die widerspenstige Lichtgestalt

Kinder wollte sie nicht. Und verheiraten ließ sie sich schon gar nicht. Sie wusste, wie hier mit Frauen umgesprungen wurde. 1959 im nordostindischen Assam zur Welt gekommen, hatte sie miterlebt, wie die Mutter von der eigenen Familie herumgestoßen wurde – nur weil sie ihren Mann, einen alkoholkranken, bengalischen Teeplantagen-Verwalter verlassen hatte. Ihr, der Tochter, sollte so etwas nicht passieren!

Vielleicht war es ihr Glück, dass sie – dünn, dunkelhäutig und klug – nicht dem Frauenideal des indischen Mannes entsprach. Sie erhielt eine solide Schulausbildung, seilte sich mit sechzehn nach Delhi ab, ließ sich in einem Slum nieder und studierte Architektur. Mitte der achtziger Jahre – sie arbeitete inzwischen am Nationalen Institut für Stadtentwicklung – bekam sie ein Hauptrolle in dem Film «Massey Sahib». Weitere Engagements als Schauspielerin und Drehbuchautorin folgten.

Damit war allerdings Schluss, als sie den Bollywood-Film «Bandit Queen» über Phoolan Devi sah, in dem diese berühmte indische Rebellin auf ihre Rolle als Vergewaltigungsopfer reduziert wurde. Nach einer harschen Filmkritik kehrte sie der Filmindustrie den Rücken und hielt sich fortan mit Gelegenheitsjob über Wasser. Bis der Roman fertig war, der sie 1997 über Nacht in die internationalen Feuilletons katapultierte.

Wie gern wäre man in Indien stolz auf sie gewesen. Doch leider nutzte sie Weltruhm und Tantiemen von Stund an für politische Interventionen: gegen die indischen Atomtests und den Bau des Narmada-Staudamms, gegen die Ausbeutung der Landbevölkerung und den Ausverkauf der Bodenschätze, gegen Krieg, Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeiten wie das Kastensystem (für dessen Zementierung sie Gandhi in einer ihrer vielen Streitschriften Mitverantwortung übertrug).

Einen Aufschrei der Empörung löste 2008 ihre Forderung nach einem Referendum über die Unabhängigkeit Kaschmirs aus. Dabei hatte Jawaharlal Nehru, der erste Ministerpräsident Indiens, bereits 1952 gesagt: «Wenn die Bevölkerung Kaschmirs nicht bleiben will, lasst sie gehen.» Die berühmte Literatin wird seither in ihrem Land als Verräterin geschmäht.

Wie heißt die wortgewaltige Globalisierungskritikerin, die 2015 aus Protest gegen die hindu-nationalistische Regierung alle nationalen Auszeichungen zurückgab?

© Brigitte Matern, erschienen in WOZ Nr. 40 vom 6. Oktober 2016

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